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AutorenbildPro Pferd

Hilfsmittel für das Tierwohl

Neue Wege und Methoden dank innovativer Forschung

«Hans-Dieter Vontobel wollte wissen, wie sich die Losgelassenheit beim Pferd wissenschaftlich messen lasse», erinnert sich Brigitte von Rechenberg, die Leiterin des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Pro Pferd. Das war in den 1990er Jahren, als die Stiftung unter dem Namen Forschung für das Pferd gegründet wurde und das erste grosse Projekt darin bestand, die Erweiterung und Modernisierung der klinischen Möglichkeiten am Tierspital Zürich zu finanzieren. Ein Laufband mit Messsystem zur Beurteilung von Lahmheiten wurde ebenso ermöglicht wie das europaweit erste Aufwachbecken für Pferde – und dank der Frage des damaligen Stiftungspräsidenten Hans-Dieter Vontobel wurden elektronische Satteldecken zur Messung der Druckbelastung auf dem Pferderücken angeschafft. Denn Leistungsinsuffizienz, Rittigkeitsprobleme und/oder Rückenbeschwerden stehen nicht selten in Zusammenhang mit einem schlecht passenden Sattel. Das lässt sich nun quantitativ erfassen. Mittlerweile werden sowohl die Passform verschiedener Sättel und Sattelunterlagen wie auch die Interaktion zwischen Pferd und Reiter regelmässig untersucht.

«Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner»

Forschung ist die systematische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren Dokumentation und Veröffentlichung. In die Praxis umgesetzt, sind diese Erkenntnisse hilfreich, speziell auch für das Pferd und dessen Reiterin oder Reiter. Die Satteldruckmessung ist schweizweit das bekannteste Beispiel; es ist aber eines von vielen. So wurde am Tierspital Zürich für das neue Gebäude Grosstierröntgen eigens ein auf Grosstiere zugeschnittener Röntgenstand entworfen und konstruiert. Am Institut suisse de médecine équine ISME der Universität Bern wird derweil mit Unterstützung von Pro Pferd (Projekt 2022–04) in Bern und Avenches ein Gerät entwickelt, das der verbesserten Aufnahme von Lungengeräuschen am Pferd dient (siehe Bild). Ganz nach der Devise «Hilft dir selbst, sonst hilft dir keiner» sucht die Forschung explizit nach Antworten auf Fragen, die bisher noch nicht gestellt oder nicht beantwortet sind. In Bezug auf das Equine-Asthma sind neue Erkenntnisse besonders willkommen. Immerhin betrifft die chronische, nicht infektiöse entzündliche Erkrankung der unteren Atemwege einen Grossteil der Pferde in der Schweiz und weltweitund hat damit erhebliche Auswirkungen auf das Wohlergehen der Pferdepopulation.


Die Auskultation, das Abhören des Körpers, erfolgt typischerweise mit dem Stethoskop.

Sie ist zentral bei der klinischen Untersuchung und Diagnosestellung von Asthma. Beim Brustkorb (Thorax) des Pferdes stösst die Methode jedoch an Grenzen. «Pathologische

Lungengeräusche können aufgrund ihres vorübergehenden Auftretens und ihrer

begrenzten Lokalisierung oft nicht erkannt oder wegen der limitierten akustischen Breite

von Stethoskopen nicht erfasst werden», sagt med. vet. Eloïse Greim, die unter der Leitung von Prof. Vinzenz Gerber zusammen mit Ingenieur Jan Naef am ISME an der Entwicklung und Validierung einer neuen auskultationsbasierten Methode zur Diagnose

und Einstufung von Asthma beim Pferd arbeitet. Ihr Ziel ist, auskultatorische Abnormalitäten mit einer höheren Qualität als kommerzielle Stethoskope über einen längeren Zeitraum und an mehreren Positionen über der Lunge und der Luftröhre gleichzeitig aufzunehmen.


Dafür wurde ein tragbares digitales Stethoskop in Form eines Brustkorbgürtels mit mehreren Aufnahmeköpfen entwickelt, das zusätzlich zur Aufnahme von Lungengeräuschen die nicht-invasive Überwachung der Atmung (induktive Plethysmographie) zur Charakterisierung der Atemmuster nutzt. Um die Analyse der Aufnahmen zu erleichtern, wird überdies eine Software zur Mustererkennung mittels künstlicher Intelligenz entwickelt, die abnormale Atemgeräusche erkennt. Dafür wurden 34 Pferde verschiedener Rassen in die Studie aufgenommen, 12 gesunde und 12 Pferde mit leicht bis mittelgradigem Asthma in der Schweiz sowie 10 Pferde mit hochgradigem Asthma in Kanada. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass die Aufnahmen von guter Qualität sind und Atemgeräusche wie Giemen, Rasseln, Knistern und Husten differenziert werden können. Ein Husten beispielsweise erscheint als breites vertikales Band mit hoher Intensität und breitem Frequenzspektrum (bis >2000 Hz) im Spektrogramm. Dünne transversale Bänder mit einem Frequenzspektrum zwischen 200 und 1000 Hz stellen Giemen dar. Knistern und Rasseln sind durch eine Abfolge von Spitzen hoher Frequenz und hoher Intensität gekennzeichnet.


Basis für eine verbesserte nicht-invasive Diagnostik und Überwachung

Obschon derzeit verfügbare Diagnoseverfahren Limitationen aufweisen und die Probengewinnung aus den tiefen unteren Atemwegen im Rahmen einer Bronchoskopie und Broncho-alveolären Lavage teilweise als invasiv und teuer empfunden wird, müssen Pferdebesitzer das Equine Asthma nicht hilf- und tatenlos hinnehmen. Die Haltungsbedingungen lassen sich optimieren. Staub ist zu vermeiden, das Heu kann befeuchtet, Stroh durch Späne ersetzt werden. Zudem gibt es speziell für Pferde entwickelte Inhalatoren. Und zur richtigen Diagnose und Einstufung der Erkrankung der unteren Atemwege sind Pferdeärzte beizuziehen, die nach einer klinischen Untersuchung das Ansprechen auf die gewählte Behandlung überprüfen können.


Am ISME sagt Eloïse Greim: «Wir hoffen, mit Hilfe eines Clustering Algorithmus die vielen gesammelten Lungengeräusche in faktenbasierte Kategorien unterteilen und automatisiert erfassen zu können. Dies wäre die Basis für eine verbesserte nicht-invasive Diagnostik und Überwachung von Pferden mit Asthma und anderen Erkrankungen der unteren Atemwege.» Das wird den Pferdeärzten dienlich sein – ein gutes Hilfsmittel in der Arbeit für das Tierwohl.

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