Erfolgreiches und spannendes Herbstseminar 2024 der Stiftung Pro Pferd
120 Anmeldungen, ein Teilnehmerrekord am Herbstseminar der Stiftung Pro Pferd. Geschäftsführer Patrick Zurbuchen war überwältigt, als er am Samstag 26. Oktober in die vollen Ränge des Demonstrationssaals im Tierspital Zürich blickte. «Eure Präsenz ist für uns Motivation, weiterzumachen mit der Unterstützung wissenschaftlicher Projekte und der Vermittlung der daraus entstandenen Erkenntnisse», eröffnete er den Nachmittag.
Asymmetrie des Pferdes – Begrifflichkeit und Komplexität
Selma Latif, der Koryphäe im Bereich Pferderücken, ging es darum, die Komplexität des Themas Asymmetrie aufzuzeigen, Begrifflichkeit zu klären und zu evaluieren, wann Asymmetrie gesundheitlich bedenklich ist. Sie deckte auf, dass es mit der angeborenen sensorischen Lateralität zu erklären ist, dass Pferde manchmal eine Ecke des Vierecks als kaum passierbar empfinden. Dazu kommen erworbene Asymmetrien, die durch Traumata oder einseitiges Händling bedingt sein können. Schnell kommt die Frage auf: Wer vom Reiter-Pferd-Paar beeinflusst wen, wie? Dazu forscht die International Taskforce on Laterality in Sporthorses, denn vieles ist in diesem Bereich noch unklar. So warnt Selma Latif vor Interpretationen über mögliche Zusammenhänge. Eine unvoreingenommene Beschreibung müsse an erster Stelle stehen. Dann sei zur Gesunderhaltung die Geraderichtung durch das Aufstellen der Brustbein-Widerrist-Achse wichtig. Ein unabhängiger Reitersitz sei hierfür das probate Mittel. Ein Publikumsvotum, das der nächste Referent, Sattelspezialist Peter Menet sofort unterschreiben würde.
Asymmetrie aus Sicht des Sattelspezialisten
Zahlreiche andere Behauptungen im Zusammenhang mit der Sattelpassform allerdings nicht. «Über Sättel kann man herrlich streiten – basierend auf Gefühlsempfindungen, dem wollen wir mit einer exakten Beschreibung der Situation entgegenwirken», sagte Peter Menet. Er macht sich ein systematisches Bild des Pferdes – von den Zähnen über die Gurtenlage bis zum Feststellen der Asymmetrie. Auch die Reiter werden ausgemessen. Die Hüftverschiebung wirkt sich nämlich über den Sattel auf das Pferd aus, wie Videoaufnahmen eindrücklich zeigten. Korrektes Reiten und die Unterstützung durch therapeutische Massnamen seien taugliche Mittel, die Asymmetrie auszugleichen, die Lateralität durch Zügelhilfen korrigieren zu wollen allerdings nicht, appellierte Menet.
Neue Projekte, die Pro Pferd unterstützt
Vor der Pause zeigte Patrick Zurbuchen auf, welche neuen Projekte Pro Pferd unterstützt. «Ein Praxisbezug ist wichtig für uns, wissenschaftliche Relevanz, und dass die Forschung zum Wohlergehen der Pferde beiträgt», erklärte der Geschäftsführer die Auswahlkriterien. So werden zwei Forschungsvorhaben zum Equinen Asthma begleitet, ein Projekt zum Pferdewohl in Turniersituationen, ein Ansatz, der die Verbesserung der Beatmungsstrategie während der Anästhesie anstrebt und Equinella, die Plattform, die ein frühzeitiges Erkennen von Pferdekrankheiten ermöglicht, wird unterstützt, damit sie weiterhin betrieben werden kann.
Zügelkräfte: Auswirkungen und Einflussfaktoren
Im zweiten Teil des Nachmittags stand das Leuchtturmprojekt zur Zügelkräftemessung im Fokus, ein Thema mit politischem Charakter. Wissenschaftliche Antworten sind deshalb wichtig, um unhaltbaren Statements Gegengewicht geben zu können. Veterinärmediziner Dominik Burger zeigte den Forschungsstand auf: «Es wurde schon viel gemessen, aber es haperte jeweils mit dem Studiendesign, es fehlt der ganzheitliche Ansatz.» Er zeigte weitere Aspekte auf, die mit einfliessen, wie Nasenbänder, Hilfszügeln oder Gebisse. Einmal mehr musste konstatiert werden, dass ein komplexes Forschungsthema vorliegt. Und eines, das Emotionen und Fragen im Publikum aufwirft, wie sich bei der Präsentation des Pilotprojektes zeigte. Dieses startet diesen Winter und will evaluieren, welchen Einfluss die Erfahrungen von Pferd und Reiter auf die eingesetzte Zügelkraft haben.
Die technische Entwicklung des Messsensors
Die beiden Ingenieure von der Empa, Bernhard Weisse und Aline Bär gaben Einblick in die Entwicklung des Sensors, der die Zügelkräfte messen wird. Eine Machbarkeitsstudie wurde durchgeführt, mit einem Sensor, der sich kaum verformt, und lediglich 57 Gramm wiegt, sodass Pferd und Reiter keinen Unterschied spüren. Aktuell wird an einem kabellosen Sensor mit Bluetooth gearbeitet. Ziel des mehrjährigen Projektes ist es herauszufinden, welchen Stress welche Zügelkraft auslöst. Dies wird dank eines ganzheitlichen Vorgehens möglich, das auch Stresshormone, Herzfrequenzen etc. berücksichtigt. So sollen Empfehlungen ausgearbeitet werden, welche Zügelkräfte tolerierbar sind und ein Instrumentarium für die Reitausbildung geschaffen werden.
Neuste Version des Reitsimulators
Eliane Künzle präsentierte zum Abschluss mit dem Reitsimulator neuester Generation eine Möglichkeit, sich als Reiter zu schulen, um mit möglichst feinen und korrekten Hilfen zu reiten.
Take Home Message
Als Fazit des Nachmittags kann festgehalten werden, wie wichtig es ist, genau hinsehen, zu beschreiben und zu erforschen, anstatt nur emotionale Vermutungen abzugeben. Und wie komplex Forschung rund ums Pferd ist, da hier zwei Lebewesen miteinander agieren und einander beeinflussen. Text und Bilder: Muriel Willi
Patrick Zurbuchen, der Geschäftsführer der Stiftung Pro Pferd (ganz rechts) mit den Referentinnen und Referenten des Herbstseminars 2024: Dominik Burger, Peter Menet, Selma Latif, Bernhard Weisse, Aline Bär und Eliane Künzle (v.l.n.r.).
Comments