Auf grosses Interesse ist gestern Mittwoch das Webinar von Pro Pferd gestossen, das von der Vetsuisse Fakultät der Universität Zürich mitorganisiert worden ist. Im Zentrum der Fortbildung standen drei Referate über aktuelle Forschungsprojekte, die von Pro Pferd mitfinanziert werden.
Erst referierte Laura Maxi Stange vom Institut für Tierzucht und Tierhaltung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel über die Ursachen, Entstehung und Therapiemassnahmen des equine Headshaking Syndroms (Projekt 2021-02, siehe Jahresbericht 2021). Für das Verhalten, das das Tierwohl beeinträchtigen und für die Reiterin oder den Reiter gefährlich sein kann, gibt es verschiedene Ursachen. Wenn eine Primärerkrankung zugrunde liegt, zum Beispiel eine Zahnerkrankung, wird vom symptomatischen Headshaking gesprochen. Wird die Ursache beim Trigeminus Nerv vermutet, der wie beim Menschen Gesicht, Nasenhöhle, Mundhöhle und Kaumuskel versorgt, spricht die Fachwelt vom Trigeminus-mediierted Headshaking (TMHS). Ist die Ursache aber weder das eine noch das andere und damit unbekannt, handelt es sich um idiopathisches Headshaking. Stange plädierte angesichts der diversen Möglichkeiten, die zum Headshaking führen können, zu einer tiefergehenden Diagnostik, die dann auch zu einer ganzen Palette von Massnahmen führen kann. Sie reicht von einfachen Vorkehrungen im Management und Equipment über Futtermittelzusätze, alternative Behandlungen bis hin zu einem operativen Eingriff, der aufgrund grosser Nebenwirkungen aber nur im Notfall in Betracht gezogen werden sollte. Das Headshaking Syndrom könne viele Ursachen haben und sei bei jedem Pferd individuell, zudem mehr ein Symptom als eine Erkrankung, summierte Laura Maxi Stange zum Schluss. Und deshalb müsse das Syndrom weiter erforscht werden, um dereinst konkrete Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen zu können.
Im zweiten Referat gab Iris Bachmann, die Leiterin der Forschungsgruppe Equiden bei Agroscope in Avenches, Einblick in ihr Projekt Paddocktrail (Projekt 2020-08, siehe Jahresbericht 2021). Bachmann richtete den Fokus auf eine Thematik, von der in der Schweiz eine Vielzahl von Ställen und Reitanlagen betroffen ist: auf den Zielkonflikt zwischen Tier- und Kulturlandschutz. Moderne Pferdehaltungsformen trennen eine Anlage in verschiedene Funktionsflächen, um den Pferden einen Anreiz zur Bewegung zu geben. Doch für eine ganzjährige Nutzung müssen Laufwege befestigt werden. Ohne Befestigung werden sie zu Morast, was weder dem Tier, noch dem Boden förderlich ist. In der Strategie des Bundes soll es bis 2050 keinen Verlust an Kulturflächen mehr geben, und weil in der aktuellen Raumplanung Allwetterausläufe nur in geringem Masse und unmittelbar an Stallgebäude angrenzend bewilligungsfähig sind, braucht es alternative und neue Lösungen. Iris Bachmann verwies auf das Bundesrecht, gemäss dem Flächen bis 150 m2 befestigt werden können, sofern sie reversibel sind. Eine nicht klar definierte und von den Kantonen unterschiedlich interpretierte Norm. Ihr Projekt zielt deshalb darauf ab, wissenschaftlich fundierte Fakten zur Reversibilität von befestigten Fruchtflächen zu liefern. Innerhalb eines Langzeitversuches von 4 Jahren soll aufgezeigt werden, welche Bodenbefestigungen tiergerecht sind und ebenso erlauben, innerhalb von zwölf Monaten die Flächen zu rekultivieren. Die Folgen der Thematik bekam Iris Bachmann selber zu spüren. Bis die Versuchsanlage unweit des Gestüts in Avenches angelegt werden konnte, dauerte der Gang durch die Behörden viel länger als gedacht. Doch Iris Bachmann sagte deswegen nicht, dass die Raumplanung über dem Tierschutz steht. Vielmehr müssten dort, wo man Pferde halten will, alle geltenden Gesetze eingehalten werden. Damit dies gelingt, braucht es Forschungsprojekte wie das von Iris Bachmann zu den Paddocktrails.
Im dritten Referat stellte Irena Czycholl vom Institut für Tierzucht und Tierhaltung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ihre Untersuchungen zur Gruppenstruktur von Pferden in Grossgruppen mit Hilfe von GPS-Lokalisierungsdaten vor (Projekt 2018-07, siehe Jahresbericht 2021). Sie fokussierte sich auf einen Offenstall mit Funktionsbereichen, in Deutschland unter dem Label HIT-Aktivställe bekannt und auf eine Gruppengrösse, die deutlich über der Norm lag. So wurden bei mehr als 50 Pferden einer Gruppe die Bewegungsabläufe und Interaktionen mittels GPS gemessen und sodann akribisch ausgewertet.Bezüglich Bewegungsaktivität konnte ein durchschnittlicher Wert pro Tag von 8,4 km gemessen werden, allerdings mit grossen Schwankungen von 1,5 bis 25,2 km. Es gab also grosse tierindividuelle Unterschiede. Auch die Jahreszeiten hatten Einfluss auf die zurückgelegten Distanzen. Zum Vergleich: Wildpferde bewegen sich 6 bis 17 km pro Tag. Bei der Integration eines neuen Pferdes in die Gruppe war Unruhe in den ersten Tagen sichtbar (Erkunden/Rangordnung), doch hatte dies keinen Effekt auf die gesamte Herde. Interessant auch, dass eine offene Liegehalle (gespannte Plane mit offenen Seiten) im Vergleich mit einer festen Baute nicht nur deutlich mehr genutzt wurde, sondern den Pferden auch mehr Sicherheit bot. Sie ruhten in der offenen Halle mehr liegend als in der geschlossenen Halle. Entsprechend summierte Irena Czycholl: Das Bewegungskonzept eines Aktivstalles zeigt die erhoffte Wirkung, wobei Weidezugang die Bewegungsaktivität signifikant erhöht. Die Integration von Neuankömmlingen in einer Gruppe verläuft relativ stressfrei und hat insbesondere keinen Einfluss auf die Herde. Auch stehen alle Tiere miteinander in Kontakt, es werden keine Untergruppen gebildet.
Weitere interessante Erkenntnisse und wissenschaftlich erarbeitete Fakten rund ums Pferd wird es am Herbstseminar von Pro Pferd geben. Dieses findet am 22. Oktober an der Vetsuisse Fakultät der Universität Zürich statt. Bereits am 20. und 21. August wird Pro Pferd mit einem Stand am Jubiläumsanlass 150 Jahre Rennverein Zürich auf der Pferderennbahn in Dielsdorf präsent sein.
Kommentare